„Rote Bank“ holt Thema „Gewalt an Frauen“ aus der Tabuzone
Mit der Einweihung der „Roten Bank“ vor dem Haupteingang des Miltenberger Landratsamts hat der Landkreis ein starkes Zeichen gegen Gewalt an Frauen gesetzt. Rund 40 Gäste verfolgten am Mittwoch, 12. Juni, die offizielle Einweihung und zeigten damit, dass das Thema aus der Tabuzone heraus und in das öffentliche Bewusstsein kommen muss.
Für Landrat Jens Marco Scherf sind die erstmals in Italien aufgestellten roten Bänke wichtig, denn sie lenken die Aufmerksamkeit auf ein oft verschwiegenes und nicht wahrgenommenes Problem. Gewalt gegen Frauen ist ein Problem unserer Gesellschaft, so Scherf. Die meisten Gewalttaten gegen Frauen geschehen im privaten Umfeld, so dass sie der Öffentlichkeit häufig verborgen blieben. „Die sichtbar rote Bank will helfen, aufmerksam zu machen, das Schweigen zu brechen und die Gewalt aus der Tabuzone zu holen“, sagte der Landrat. Die Bank, die seit einem guten halben Jahr steht, werde gut genutzt, hatte Scherf beim Blick aus seinem Büro gesehen und zeigte sich davon überzeugt, dass schon so manches Gespräch auf dieser Bank zum Thema geführt wurde.
Die Botschaft der Bank laute an die Frauen gerichtet: „Ihr seid nicht alleine, es gibt Menschen, die euch helfen.“ Harsche Kritik übte der Landrat am Bund, der die seit Jahren etablierte Förderung zum Um- und Neubau von Frauenhäusern nicht verlängere.
„Das ist nicht in Ordnung“, meinte er, es brauche hier eine offene politische Diskussion, denn Sparen an der Unterstützung von Gewaltopfern sei nicht verantwortbar. Scherf zeigte sich dankbar, dass im Kreistag konstruktiv über Sparvorschläge diskutiert werde und es für Kinder und Jugendliche mit sexualisierter Gewalterfahrung in Kürze eine vom Landkreis finanzierte Beratungsstelle „Lichtblick“ geben werde. Der Dank des Landrats galt am Ende seiner Ausführungen allen Einrichtungen, die täglich wertvolle Arbeit mit gewaltbetroffenen Frauen und deren Kindern leisten.
Die meisten Gewalttaten gegen Frauen finden in ihren eigenen vier Wänden hinter verschlossenen Türen statt, erklärte Karen Wrigley-Simon, neue Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises. 2023 waren in Deutschland über 255.000 Frauen von häuslicher Gewalt betroffen – die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein.
Gewaltbereite Männer nutzten viele Möglichkeiten, Frauen zu kontrollieren und zu demütigen, verwies sie beispielsweise auf den Entzug des Zugangs zum eigenen Geld oder die Einschränkung des Kontakts zu Bezugspersonen. Diese Gewalt entwickele sich oft in Form einer Gewaltspirale, aber auch andere Familienmitglieder verübten häusliche Gewalt gegen Frauen – etwa Geschwister, Cousins oder Schwiegereltern. Im schlimmsten Fall werde die Frau durch häusliche Gewalt getötet. Gewalt an Frauen sei keine „Privatsache“, sagte Wrigley-Simon, es brauche öffentliche Zeichen wie die „Rote Bank“.
Damit gebe man Betroffenen eine Stimme, schenke ihnen Gehör. Jeder Mensch habe das Recht auf physische und psychische Unversehrtheit, auf Freiheit und Sicherheit, auf Gesundheit und auf Freiheit vor Folter und erniedrigender Behandlung. Laut der auch von Deutschland unterzeichneten Istanbul-Konvention haben sich die Staaten dazu verpflichtet, Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen. Spanien etwa habe erfolgreich die elektronische Fußfessel bei Fällen von Partnerschaftsgewalt eingeführt, um Annäherungsverbote besser kontrollieren zu können. Es brauche aber auch bessere Zugänge zu Hilfsmöglichkeiten für betroffene Frauen, um ihre Sicherheit zu gewährleisten und ihnen eine Aussicht auf eine Zukunft in Freiheit und Sicherheit zu ermöglichen.
Tanja Traudt, Leiterin des Frauenhauses und der Proaktiven Beratung am Untermain, verwies auf den QR-Code auf der Bank, über den Hilfesuchende Adressen und Telefonnummern von Hilfseinrichtungen erfahren. Die „Rote Bank“ verdeutliche, dass „hier kein Platz für Gewalt gegen Frauen, Kinder und Menschen ist“, sagte sie. Durchschnittlich alle zwei Wochen rufe eine Frau aus dem Landkreis im Frauenhaus an, weil sie zuhause von Gewalt bedroht ist. Die Plätze im Frauenhaus seien aber begrenzt – man könne nur elf Frauen und elf Kinder gleichzeitig unterbringen.
Laut Susanne Knörzer, Leiterin des Vereins SEFRA, hat die SEFRA-Notruf- und Fachberatungsstelle im Jahr 2023 20,3 Prozent aller persönlichen Beratungen mit Frauen aus dem Landkreis Miltenberg geführt – insgesamt über 80 Frauen mit 157 Beratungen. Bei den Telefonberatungen seien es sogar 25 Prozent Frauen aus dem Landkreis Miltenberg gewesen mit 325 Beratungen. Das Problem sei häufig, dass Frauen nicht kommen könnten, weil sie Kinder haben und nicht mobil sind, viele schwiegen aus Angst. Mit der „Roten Bank“ komme man niedrigschwellig an Frauen heran, glaubt sie und hält es für sinnvoll, auch in den Schulen diesbezüglich präventiv zu arbeiten.
An mehreren Informationsständen konnten sich die Gäste über die Hilfsmöglichkeiten informieren, die Frauen offenstehen.