Fachtag „Verletzte Seelen“ blickt auf emotionale Gewalt gegen Kinder

Vollbesetztes Bürgerzentrum mit über 400 Fachkräften
Im vollbesetzten Bürgerzentrum zeigten über 400 Fachkräfte ihr Interesse am Thema „Verletzte Seelen“. Bei der Begrüßung wies Landrat Jens Marco Scherf (links am Mikrofon) auf die Wichtigkeit des Themas hin. Foto: Winfried Zang

Über 440 Gäste sind am Montag, 24. Februar, zum Interdisziplinären Fachtag für Fachkräfte des Erziehungs- und Gesundheitswesens aus den Landkreisen Miltenberg und Aschaffenburg sowie der Stadt Aschaffenburg gekommen. Die gemeinsame Veranstaltung der drei Koordinierenden Kinderschutzstellen der Region hat damit gezeigt, wie wichtig das Thema „emotionale Misshandlung von Kindern“ ist.

Vier Stunden lang ging es um die Auswirkungen dieser Misshandlungsform auf die kindliche Entwicklung sowie um Behandlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten. In Professor Dr. Lars White hatte man einen Experten gefunden, der sowohl Erkenntnisse der Wissenschaft einbrachte wie auch aus der Praxis zeigte, wie man die Folgen emotionaler Misshandlungen behandeln kann.

Auch Landrat Jens Marco Scherf, der den Fachtag im Elsenfelder Bürgerzentrum eröffnete, bestätigte die Wichtigkeit des Themas: Von körperlicher Gewalt habe man eine klare Vorstellung, sagte er, die emotionale Gewalt sei eher unsichtbar, dafür aber deutlich und nachhaltig spürbar. Vor allem für Fachkräfte sei es wichtig, sich mit dieser Thematik zu beschäftigen, stellte Scherf fest und dankte ausdrücklich allen für ihre großartige tägliche Arbeit, ihr Einfühlungsvermögen und ihr Engagement. Dass der Fachtag zustande gekommen sei, sei den KoKi-Stellen des Bayerischen Untermains zu verdanken.

Lars White, Universitätsprofessor für Klinische Psychologie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters sowie als Ko-Leiter der Psychotherapeutische Universitätsambulanz an der Universität Bremen tätig, hat bereits viele Erfahrungen gesammelt – sowohl in der Forschung wie auch als Kinder- und Jugendtherapeut. Er ging im ersten Teil seines Vortrags zunächst auf wissenschaftliche Erkenntnisse ein, die bei der Einordnung des Fachbegriffs „emotionale Misshandlung“ eine Rolle spielen. In diesem Zusammenhang habe sich beispielsweise herausgestellt, dass etwa die Hälfte aller emotionaler Störungen bereits im Kindesalter beginnt.

Professor Dr. Lars White
Professor Dr. Lars White zeigte beim Fachtag in Elsenfeld, wie in der Forschung daran gearbeitet wird, Kinder mit Misshandlungserfahrungen zu therapieren. Foto: Winfried Zang

White gab dem Fachpersonal Einblicke in den Projektverbund AMIS. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert diesen Forschungsverbund, der Konzepte zur Prävention, Erkennung und Therapie entwickelt und in der Praxis erprobt. Für ihre Forschungen nutzen die Fachleute Jugendamtsakten und Auskünfte von Bezugspersonen von über 800 betroffenen Kindern. Ziel ist unter anderem die Entwicklung eines Modells, um die Folgen von Kindesmisshandlungen besser vorhersagen zu können.
Auch will man aus den Erkenntnissen der Forschung Therapien für misshandelte Kinder entwickeln. Das sei laut White wichtig, denn Kindesmisshandlungen können bis in das Erwachsenenalter hinein Auswirkungen haben. Die erste Phase des Projekts sei abgeschlossen, derzeit würden Therapien auf ihre Wirkungsweise überprüft, informierte der Experte.

White ging im weiteren Verlauf seines Vortrags unter anderem auf die Definition der Begriffe Trauma und Kindermisshandlung in juristischer, medizinischer und soziologischer Sicht ein und stellte Typen von Misshandlung vor. Auch ging er auf neue Forschungsansätze ein, die im Gegensatz zur herkömmlichen Forschung eine multidimensionale Perspektive einnehmen. Vor allem die Perspektive des Kindes sei sehr aussagekräftig, stellte White fest und warf einen Blick auf die wissenschaftlichen Klassifikationen von Bindung.

Am Beispiel des sechsjährigen Paul zeigte White, wie sich die frühe Störung seines Sozialverhaltens entwickelt hat – ein schockierendes Beispiel, wie ein Kind reizbar und aggressiv reagiert, wie es Gefühle von Wertlosigkeit entwickelt und schon in jungen Jahren Suizidgedanken hegt. Viele Fehltage in der Kita, Aggressionen gegenüber Gleichaltrigen und Erziehern, kurze Zeit nach der Einschulung bereits zwei Suspendierungen wegen Gewalt – schon in jungen Jahren ist so viel schiefgelaufen, so dass eine Therapie unabdingbar ist. Ein kurzes, anonymisiertes Video einer Therapiesitzung belegte, wie schnell sich die Wut des Jungen Bahn bricht und er ein kurz zuvor gebautes Haus aus Spielsteinen zerstört. Diese Aggression dürfe man keineswegs mit Gegenaggression entgegnen, so White. Es gelte vielmehr, dem Kind zu zeigen, dass verschiedene Perspektiven friedlich nebeneinander existieren können.

Im zweiten Teil befasst sich der Fachmann mit Implikationen für psychotherapeuthische Interventionsmaßnahmen. Anhand therapeutischer Ansätze zeigte Herr White praxisnah in einem weiteren Fallbeispiel der 5-jährigen Leyla auf, wie wichtig es ist, die Perspektive des Kindes einzunehmen und welche Therapieansätze für eine Behandlung von Kindern hilfreich sind.

Die Fachkräfte konnten durch den Interdisziplinären Fachtag wichtige Aspekte und Erkenntnisse der emotionalen Misshandlung für ihre tägliche Arbeit mit Kindern mitnehmen. Es ist deutlich geworden, dass es für das Fachpersonal wichtig ist, innerseelische Verletzungen betroffener Kinder so früh wie möglich aufzufangen.

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